Zucker und die Gier nach Süßem
"Wenn ich nur aufhör'n könnt". Wer kann sich an den überaus erfolgreichen Slogan eines berühmten Wiener Süßwarenherstellers erinnern? Nicht umsonst hat diese Werbung vor einigen Jahren voll eingeschlagen und war buchstäblich in "aller Munde".
Für manche Menschen ist das allerdings kein süßer Werbegag, sondern bittere Wahrheit. Sie leiden unter Heißhungerattacken, oftmals stark dominiert von einem Drang nach Süßem, nicht selten kombiniert mit Fett.
Das Phänomen, trotz besseren Wissens einfach nicht aufhören zu können, sich ungebremst mit Süßigkeiten vollzustopfen, kennen viele von uns nur allzu gut. Nachher kommen meist die ebenso bekannten Schuldgefühle. Doch was treibt uns in solchen Momenten an? Haben wir überhaupt eine Chance, dem zu entkommen?
Das Thema ist sehr vielschichtig. Versuchen wir, zumindest ein wenig Licht ins Dunkel zu bekommen. Um die grundlegenden Mechanismen etwas zu verstehen, brauchen wir allerdings ein bisschen Theorie.
Was ist Zucker?
Zucker ist ein sogenanntes Kohlenhydrat (Saccharid). Kohlenhydrate gehören wie Fett und Eiweiß zu den sogenannte Makronährstoffen.
Wir unterscheiden zwischen Mehrfachzucker (Polysaccharide wie Nudeln, Brot, Reis, Kartoffeln), Zweifachzucker (Disaccharide wie Kristallzucker) und Einfachzucker (Monosaccharide).
Verschiedene Kohlenhydrate, bestehend aus Zucker
Die einfachen Zuckerarten sind Glukose (Traubenzucker), Fruktose (Fruchtzucker) und Galaktose (Milchzucker). Für uns sind die beiden ersten interessant, da sie in relevanten Mengen in der Nahrung enthalten sind. Jedes komplexere Kohlenhydrat, wie z. B. Nudeln, Brot etc. wird bei der Verdauung in Einfachzucker (Monosaccharide) aufgespalten.
Die Begriffe sind irreführend. Traubenzucker kommt nicht nur in Trauben, sondern beispielsweise auch in Zuckerrüben, Zuckerohr, Getreide, Gemüse und Früchten vor. Er ist ein Hauptbestandteil von Haushaltszucker.
In Haushaltszucker (aus Zuckerrüben oder Zuckerrohr) findet sich auch Fruchtzucker, der zwar gesünder klingt, es aber keinesfalls ist. Und auch diese Fruktose kommt nicht nur in Früchten vor. Begriffsverwirrung pur. Da soll sich einer noch auskennen.
Das sollten wir wissen, wenn wir unter unkontrolliertem Drang nach Zucker bzw. Kohlenhydraten leiden, denn Glukose und Fruktose leisten dabei einen unterschiedlichen Beitrag, da sie unterschiedlich verstoffwechselt werden.
Zuckersucht
Dass Zucker angeblich süchtig machen soll, ist in aller Munde. Aber handelt es sich dabei wirklich um eine Sucht? Oder ist das einfach nur eine schlechte Gewohnheit, die man mit genügend Selbstdisziplin und einem starken Charakter in den Griff bekommen könnte?
Gleich vorweg: Die Diskussion, ob es sich bei ungebremsten Zuckerkonsum um eine Sucht handelt oder nicht, wird von sogenannten Experten heiß geführt. Letztlich ist das aber eine akademische Frage und hilft wenig im Alltag der Betroffenen. Denn es gibt ein paar Fakten, worüber man sich einig ist:
- die betroffenen Personen leiden unter dem Gefühl, die Heißhungerattacken und die Gier nach den süßen Verführungen nicht steuern zu können. Andere Menschen unterstellen ihnen häufig, einen schwachen Charakter zu haben und sich lediglich nicht beherrschen zu wollen. Das entspricht beinahe schon einer sozialen Ächtung und ist Gift für das Selbstwertgefühl. Fakt: Sie können nicht widerstehen, jedenfalls nicht dauerhaft.
Niemand ist einfach nur "schwach", die Betroffenen leiden auf mehreren Ebenen unter der "Sucht"
- der Überkonsum von Zucker hat gravierende, gesundheitliche Nachteile, die nicht schönzureden sind. Man denke da nur an das drohende Übergewicht, die Gefahr von Risken wie Diabetes mellitus, Arteriosklerose, Karies, Krebs und möglicherweise auch Demenzerkrankungen, allgemeiner Übersäuerung des Grundmilieus etc. All diese Phänomene sind wissenschaftlich gut abgesichert. Dazu kommt, dass Zucker bei seiner Verstoffwechslung viele Mikronährstoffe verbraucht, die dann bei anderen, wichtigen biologischen Vorgängen fehlen. Der Körper erzeugt in Folge immer wieder neue Hungergefühle, um die fehlenden Stoffe mittels Nahrung zugeführt zu bekommen. Kurzum: Ein Teufelskreislauf, eine gesundheitliche Katastrophe.
Erkärungsansätze
Es gibt einige Erklärungsmodelle für unsere süße Vorlieben, ein paar davon beschreiben wir hier. Es ist sicher sinnvoll, sie zusammenhängend und übergreifend zu betrachten. Manchmal hängen sie direkt voneinander ab oder/und kommen gemeinsam vor, stellen verschiedene Sichtweisen auf das Thema dar.
1. Positive Sinnesreize und Konditionierungen
Schon beim Stillen genießen wir die süße Muttermilch (darin ist Galaktose, also Milchzucker). Sie ist bei weitem nicht so süß, wie ein Schokoriegel, aber für unsere unverdorbenen Sinne die reinste Wonne. Wir erleben den geschmacklichen Genuss in Verbindung mit dem Saugen, der Geborgenheit bei der Mutter auf ihrer warmen Haut. Das Gesamtpaket der Sinneseindrücke wird in unserem Gehirn als Wohlgefül abgespeichert. Immer wenn wir unruhig sind, Schmerzen haben und schreien, werden wir damit beruhigt. So jedenfalls der Idealfall, wenn wir eine gesunde, liebende Mutter und förderliche Lebensumstände haben. Das Grundbedürfnis nach Lustgewinn wird damit gestillt und konditioniert. Falls wir das nicht so erfahren, sondern einen Mangel erleben, kann im späteren Leben ein Kompensationsbedürfnis entstehen. Wir erinnern uns an die seltene Süße, die uns so gut getan hätte und versuchen, es auf eine andere Art nachzuholen.
2. Hormone - Neurotransmitter
Besonders in Verbindung mit Stress spielen bestimmte Botenstoffe eine wichtige Rolle. Hier erfolgt nur eine kurze Einführung. Zu einem späteren Zeitpunkt werden wir im Projekt ELEMENTARES einen umfangreicheren Artikel zur Verfügung stellen.
Botenstoffe steuern den Stoffwechsel: Hunger u. Sättigung, Fettspeicherung und -abbau uvm.
- Insulin - Glukagon
Damit Glukose verstoffwechselt werden kann, braucht es die Bauchspeicheldrüse. Denn diese schüttet die wichtigen Hormone Insulin und Glukagon aus. Wenn Zucker im Blut haben, muss dieser schnell durch Insulin in die Zellen geschleust werden. Wenn wir reinen Zucker essen, wird auf einmal sehr viel Insulin ausgeschüttet, der Blutzuckerspiegel sinkt dadurch wieder sehr schnell und es kommt zu einer Unterzuckerung. Dann kommt Glukacon ins Spiel und verursacht ein Hungergefühl, damit der Blutzuckerspiegel wieder aufgefüllt werden kann. Ein Teufelskreislauf von Über- und Unterzuckerung mit ständigen Heißhungerattacken kann entstehen. So viel Zucker brauchen die Zellen nicht. Der Überschuss wird zu Fett umgewandelt. Die Gefahr von Diabetes entsteht.
Siehe dazu auch den Arikel der Pharmazeutin Ines Demel.
Das alles kann sogar passieren, wenn wir keine Süßigkeiten essen. Zucker wird oft in Lebensmitteln als Geschmacksträger oder zur Haltbarmachung versteckt eingesetzt. Brötchen, Ketchup, Limonaden usw. beinhalten sehr viel davon, ohne dass wir es merken. Es kommt nach deren Genuss oft schon nach kurzer Zeit wieder zu Hungeranfällen, die wir uns gar nicht erklären können. Und nicht vergessen: Weißmehl ist leicht verdaulich und wird beinahe ebenso sehr schnell verdaut. Es kommt damit zu sehr schnellem Anstieg des Blutzuckerspiegels mit den beschriebenen Spitzen. Ein Ausweg sind die komplexen Kohlenhydrate mit vielen Ballaststoffen (Vollkorn). Sie benötigen mehr Zeit zur Verdauung und vermindern damit den wiederkehrenden Heißhunger.
Da Fruktose hingegen nicht mit Insulin verstoffwechselt wird, könnte man ihn als bessere Alternative ansehen. Weit gefehlt. Fruchtzucker wird weitgehend zu Fett umgebaut, die Sättigung erfolgt viel später. Mit anderen Worten: Man hat schon viel zu viel konsumiert, bevor das Hungergefühl vorbei ist. Seit dem Einsatz von Fruktose in Limonaden hat sich die Fettleibigkeit in den USA rapid gesteigert.
Mittlerweile gibt es schon rund 70 Synonyme für Zucker: Hier eine kleine Auswahl davon:
Ahornsirup, Brauner Reissirup, Brauner Zucker, Butter-Sirup, Dattelzucker, Demerara-Zucker, Dextrin, Dextrose, Diastatisches Malz, Ethylmaltol, Florida-Kristalle, Fruchtsaft, Fruchtsaftkonzentrat, Gelber Zucker, Gerstenmalz, Glukose, Glukosefeststoffe, Goldener Sirup, Goldener Zucker, Honig, Invertzucker, Johannisbrot-Sirup, Karamell, Kokoszucker, Konditorzucker, Laktose, Maissirup, Maissirupfeststoffe, Maltodextrin, Maltose, Malzsirup, Melasse, Muscovado Zucker, Panela-Zucker, Puderzucker, Raffineriesirup, Reissirup, Rizinuszucker, Rohrzucker, Rohzucker, Rübenzucker, Schwarzriemenmelasse, Sirupzucker, Sorghum-Sirup, Sucanat, Traubenzucker, Turbinado Zucker, Verdampfter Rohrzuckersaft, Zuckerrohrsaftkristalle.
Tipp: Möglichst unverarbeitete Lebensmittel zu sich nehmen. Jedenfalls immer nachschauen, was drin ist: Zucker hat viele Namen. Alles was auf -ose endet, ist prinzipiell verdächtig und sollte sicherheitshalber genau betrachtet werden. Ergo: Sich nicht von irreführenden Bezeichnungen täuschen lassen.
- Ghrelin - Leptin
Während das Hormon Ghrelin dafür verantwortlich ist, dass wir enormen Heißhunger entwickeln, sorgt Leptin für ein Sättigungsgefühl. Ghrelin wird vermehrt ausgeschüttet, wenn wir Stress haben oder schlecht schlafen. Es dürfte außerdem in Verbindung mit der Lust auf Alkohol zu stehen. Leptin als Sättigungshormon scheint oft bei Übergewichtigen nicht ausreichend zu wirken. Das bedeutet, dass bestehendes Übergewicht noch tendenziell vermehrt wird. Ein Grund mehr, es gar nicht so weit kommen zu lassen oder zu beginnen, den Kreislauf zu durchbrechen
Mordernes Leben und ur-menschliche Gefahren - Stress pur
- Cortisol, Adrenalin
Bei Stress geht eine Kaskade von Hormonreaktionen los, die vom Gehirn (Hypothalamus) koordiniert wird. Die Zusammenhänge sind derart komplex, dass es schier unmöglich scheint, alles zu überblicken.
Wesentlich dabei sind die Stresshormone Adrenalin und Kortisol. Beide aktivieren den Körper, um auf Gefahrensituationen reagieren zu können. Wenn der Tiger (schwieriger Chef, Mitarbeiter, Kollege, Kunde) im Büro sitzt, braucht man Power. Vermehrter Energiebedarf mit Hungergefühl ist eine typische Folge davon. Besonders das Gehirn ist auf die Zufuhr von Glukose angewiesen. Adrenalin wirkt nur kurze Zeit und wird von Kortisol abgelöst, wenn die Situation nicht rasch bewältigt werden kann. Chronischer Stress (der Tiger ist Dauergast, kommt immer wieder) steht also immer in Verbindung mit Kortisol.
Bei Gefahr setzt die Amygdala, das Alarmzentrums in unserem Gehirn, das hungerfördernde Neuropeptid Y frei. Hält der Stress an, fehlt das zuständige Stoppsignal aus einem anderen Gehirnteil, der sogenannten lateralen Habenula.
Vieles deutet darauf hin, dass Stress nicht nur den Hunger verstärkt, sondern spezifisch die Lust auf süße, gehaltvolle Nahrung. Das macht auch Sinn, denn wenn der Urmensch in Gefahr war, brauchte er zusätzliche, schnell verfügbare Energie, um zu flüchten oder zu kämpfen. Heutzutage unterdrücken wir jedoch genau diese Impulse (wer kämpft schon mit seinem Chef oder läuft einfach davon?). So kommt es zu einer Stress-Mast. Wir nehmen zu, und das mit großteils ungesunden Lebensmitteln, die wenig Spurenelemente und Vitalstoffe enthalten. Um diese Mikronährstoffe zu bekommen, erzeugt der Körper wiederum Hunger. Ein Teufelskreislauf mit weitreichenden Folgen.
- Dopamin - Serotonin
Beim Genuss von Zucker werden zwei Neurotransmitter verstärkt ausgeschüttet. Dopamin wirkt direkt im Belohnungszentrum des Gehirns. Das könnte für die suchtähnlichen Phänomene verantwortlich sein. Serotonin folgt einer ähnlichen Logik - besonders in Verbindung mit Schokolade breitet sich der beruhigende Wohlfühleffekt im Körper aus.
Traumatischer und/oder sozialer Stress
Vieles deutet darauf hin, dass posttraumatische Belastungen das Grundniveau von Erregung (Nervosität, Anspannung) drastisch erhöhen. Dabei ist es prinzipiell egal, ob das auslösende Erlebnis aus einem Schocktrauma, oder von Belastungen in der Kindheit stammt. Das bedeutet auch eine geringere Resilienz gegenüber aktuellen Herausforderungen des Alltags. Man ist leichter gestresst und bleibt länger im Alarmmodus als andere Personen. Selbstwert, Selbstvertrauen und Selbstliebe sind dabei eventuell nicht besonders gut ausgeprägt. Entsprechend zeigt sich auch die Situation bei unseren Botenstoffen. Besonders Ghrelin und Cortisol dürften bei Menschen, die Schlimmes erlebt haben, eine signifikante Rolle spielen.
Ebenso stark wirken allerdings auch aktuelle soziale Belastungen (social pain) wie Liebeskummer, Mobbing oder Stress mit den Kindern.
Besonders auffällig in solchen Situationen: Stresskompensation durch das tröstende Belohnungssystem. Man tut sich etwas Gutes, auch wenn es ungesund ist.
Mir geht's nicht gut. Jetzt ist eh schon alles Wurst.
Gerade in den kurzen Pausen während längerer Stressperioden belohnt man sich ganz gerne. Man hat es ja verdient. Ob ein paar Bierchen oder Gläser Rotwein am Abend, die fette Pizza oder eine Tafel Schokolade. Junk-Food ist jetzt besonders attraktiv. Nachdem man ja gerade vom Partner verlassen wurde, ist das jetzt ja auch schon egal, oder? Das dämpft die Stressreaktion und wirkt sogar euphorisierend. Alles folgt der schon beschriebenen Logik. Besonders Zucker bietet sich jetzt an, denn er gilt als Synonym für gute Gefühle, ist symbolisch und psychologisch gesehen so etwas wie verstofflichte Liebe. Und mit dem Geschmacksträger Fett breitet sich das auf der ganzen Zunge aus, unübertrefflich, dieser tröstende Genuss. Und den Spaziergang um den Block machen wir dann morgen. Oder übermorgen. Oder jedenfalls irgendwann. Im Moment ist die Couch viel attraktiver. Man kann sich in solchen Momenten tatsächlich nur sehr schwer überwinden.
Auswege
Niemand soll zu einem magersüchtigen Model mutieren. Diese ungesunden Schönheitsideale sind ohnehin bald Geschichte. Es reicht oft schon aus, ein paar Kilos zu reduzieren, um den entgleisten Stoffwechsel in den Griff zu bekommen. Selbstwert und Wohlbefinden steigern sich schon bei kleinen Erfolgen. Der Ausstieg aus dem Teufelskreislauf ist oft gar nicht so schwer, wenn man eine realistische Strategie hat. Jeder hat seinen individuellen Weg dazu. Ernährung, Bewegung, Psyche sind wichtige Komponenten dafür, die lebenstauglich gemixt werden müssen.
Eine lebenswerte Strategie, ein paar Kilos weniger und schon läuft es besser
Es zahlt sich immer aus, alten, oft unbewussten Stress aufzulösen und/oder seine Resilienz zu verbessern. Dazu gibt es viele Methoden. Einige davon wenden wir in unserem Institut an. Wenn du mehr darüber wissen willst, oder mit uns gemeinsam einen Weg aus der Falle planen willst, nimm einfach Kontakt mit uns auf. Schreibe uns eine
Mag. Franz Sandmair ist Soziologe, Psychologe, Dipl. Ernährungs und Präventionscoach, Heilpraktiker nach dt. Recht i. Ausb.